Wie beschreiben Sie das Anlagejahr 2020?
Luca Carrozzo (LC): Nach dem ausserordentlich positiven 2019 stiegen die Aktienkurse auch Anfang 2020 nahtlos weiter. Als jedoch die Pandemie begann, brachen die Aktienbörsen im Februar ein. Die grossen Aktienindizes verloren innerhalb weniger Wochen bis zu 30%. Dies aufgrund der Befürchtungen, dass die Weltwirtschaft den grössten Einbruch seit dem Zweiten Weltkrieg erleiden wird. Die Regierungen reagierten weltweit mit Lockdowns auf den Virusausbruch, was die Schliessung von Gastronomiebetrieben und Geschäften sowie die Teilschliessung vieler Grenzen mit sich brachte. Der extreme Konjunktureinbruch hatte zur Folge, dass Notenbanken und Regierungen zu ausserordentlichen Massnahmen griffen. Die Wirtschaft wurde durch zahlreiche Zinssenkungen und mit billionenschweren Konjunkturpaketen gestützt. Dies führte zu einer Ausweitung der Zentralbankbilanzen und höheren Verschuldungsquoten bei Staaten. Die Finanzmärkte reagierten euphorisch. Die Massnahmen verhalfen den Aktienindizes wieder auf die Erfolgsspur, wobei der amerikanische Markt sogar neue Höchststände erreichte. Die Bewegungen am Aktienmarkt widersprachen jedoch der Lage in der Realwirtschaft, wo die Arbeitslosenquote stark anstieg, Unternehmen in Schwierigkeit geraten sind und die Wachstumsprognosen nach unten revidiert wurden.
Was machte das letzte Jahr unverwechselbar?
LC: Die Interventionen der Zentralbanken waren sicherlich etwas Ausserordentliches. Die Bilanz der US Notenbank ist von USD 4 200 Milliarden im Januar 2020 auf über USD 7 300 Milliarden angestiegen. Auch die Europäische Zentralbank musste kräftig intervenieren. Die EZB-Bilanz stieg von EUR 4 690 Milliarden anfangs 2020 auf über EUR 7 000 Milliarden per Ende Jahr an. Auch in anderen Anlageklassen gab es Ausserordentliches zu vermelden: So wurde zum Beispiel ein Fass Öl zum ersten Mal in der Geschichte zu einem negativen Preis gehandelt. Aufgrund der weltweiten Schliessungen der Wirtschaft ging die Nachfrage nach dem schwarzen Gold dramatisch zurück. Dies führte zu überfüllten Lagerbeständen, was wiederum zu Preisdruck bei den Ölnotierungen führte. Im April 2020 mussten Käufer der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) am Terminmarkt zeitweise nichts für das Erdöl bezahlen, sondern erhielten pro Fass sogar bis zu USD 38.
Auch im Jahr 2021 werden Emotionen wie Angst und Gier die Trends an den Finanzmärkten weiter verstärken. Bewegte Zeiten stehen bevor.
Wie wird sich der Markt im kommenden Jahr (2021) Ihrer Meinung nach entwickeln?
Mario Geniale (MG): Die Erwartungshaltung an den Aktienmärkten ist sehr hoch. Renommierte Häuser wie Goldman Sachs schätzen den S&P-500-Index in einem Jahr um 18% höher. Eine Fortführung der lockeren Geldpolitik und weitere Hilfsprogramme könnten die Investorenstimmung weiter verbessern. Doch die Covid-19-Krise und deren Auswirkungen sind noch nicht vollständig messbar und dies wird auch im 2021 eine gewisse Volatilität mit sich bringen. Auch im 2021 werden Emotionen wie Angst und Gier die Trends an den Finanzmärkten weiter verstärken. Für den SMI sehen wir ein Kurspotenzial von 8% bis 10%.
Welche drei Aktien aus dem Swiss Market Index würden Sie für das Jahr 2021 kaufen und welche meiden?
MG: Partners Group dürfte unserer Meinung nach weiterhin vom Anlagenotstand und einer Verbesserung der Marktstimmung profitieren. Aufgrund der gegenwärtigen Sektorrotation von «Coronagewinnern» zu «-verlierern» können sich sehr interessante Einstiegsmöglichkeiten in erstklassige, bisher allerdings äusserst sportlich bewertete Aktien wie beispielsweise Lonza ergeben. Ein globaler Wirtschaftsaufschwung dürfte bei den zyklischen Aktien Swatch zu einem kräftigen Kursanstieg führen. Von Bankaktien raten wir generell ab, da die Probleme (Negativzinsen, sinkende Margen etc.) weiterhin anhalten dürften. Negativ gestimmt sind wir zudem gegenüber Swiss Re, weil die Dividende erneut zulasten der Substanz bezahlt wird, und Givaudan, deren Aktien mit einem geschätzten KGV 2021 von 36 im Vergleich zum Wachstumspotenzial massiv überbewertet sind.
Der Goldpreis hat 2020 25,2% zugelegt. Was erwarten Sie für eine Preisentwicklung in diesem Jahr?
MG: Gegen unvorhersehbare Ereignisse empfehlen wir in einem Wertschriftenportfolio eine substanzielle Goldposition als eine günstige Absicherung. Wie sich die Wirtschaft über die nächsten drei bis fünf Jahre entwickeln wird, ist angesichts der beispiellosen Notenbankpolitik und der explodierenden Verschuldung höchst ungewiss. Nur eines ist sicher: Bei Turbulenzen jeglicher Art wird Gold seinem Ruf als härteste Währung der Welt wie in den letzten tausend Jahren auch in Zukunft gerecht werden.
Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
MG: Wir sind weiterhin zuversichtlich, dass der SMI 11 700 Punkte in diesem Jahr erreichen kann. Je nachdem, wann diese Zielmarke innerhalb der nächsten zwölf Monate erreicht wird, sollten Anleger ihr Aktienengagement neu bewerten und Teilgewinne realisieren.
Da die Zentralbanken auch 2021 den Markt mit Liquidität fluten und die Staaten aufgrund der Gefahr hoher Arbeitslosenzahlen Konjunkturprogramme lancieren werden, wird auch dieses Jahr kein Weg an Aktien vorbeiführen.
Und was beschäftigt derzeit die Finanzmärkte sonst noch?
LC: Staatsanleihen werfen wenig Zinsen ab. Da stellt sich die Frage, ob solche Anlagen dennoch in ein Portfolio gehören. Unserer Meinung nach sind Staatsanleihen trotz negativer Renditen ein unverzichtbarer Bestandteil in einem ausgewogenen Portfolio. Sie reduzieren die Volatilität und stabilisieren somit die Performance. Denn auch wenn es zurzeit danach aussieht, ist der Aktienmarkt keine Einbahnstrasse und jede Hausse wird irgendwann ihr Ende erreichen. Da Staatsanleihen als ultimativer Stabilitätsanker dienen, sollte der Anleger keine Kompromisse bezüglich Schuldnerbonität eingehen. Die Bondverfälle sollten gestaffelt über das kurze bis mittlere Laufzeitenspektrum ausgerichtet sein.